Angsttagebuch

Irgendwie muss ich schreiben, weil schreiben ablenkt. Ablenkung hilft in Angstsituationen. Und in einer solchen bin ich momentan. Seit Montag schwanke ich zwischen kurz vor Panik und einer ist-mir-egal-Einstellung. Der Kotzer geht im Dorf, an der Schule rum. Geht er ja immer irgendwo, ich weiss. Und anstecken kann man sich überall, das weiss ich auch. Aber mein Hirni schaltet derartige Vernunftsätze in Angstmomenten komplett aus. Dafür wirft es Gedankenfürze heraus, die fern von jeder Vernunft sind. So funktionieren eben Angstzustände, dann ist nichts mit normal denken, normal handeln. Gut, meine komischen Zwangshandlungen, die ich in meinen schlimmsten Panikzeiten durchführte, habe ich mir schnell wieder abgewöhnt. Aber das Gedankenkarussell im Kopf lässt sich dagegen nicht so leicht abstellen.

Der Mittlere klagte über Bauchweh, gestern schon über Kopfschmerzen, er ass die Tage schlecht. Das kann viele Ursachen haben, Wachstumsschub, die Hitze, Stress in der Schule, der Unfall vom grossen Bruder, oder einfach, weil es eben so ist wie es ist. Ist so. Ein Mantra übrigens, dass ich mit meiner Psychologin festlegte. Wir Emetophobiker brauchen aber immer eine Erklärung, warum jemandem schlecht ist. Und am besten ist eine Antwort, die uns 200% versichert, es wird keiner kotzen müssen und wenn doch, dass keinerlei Ansteckungsgefahr besteht. Muss eines meiner Kinder erbrechen ist das doof und eklig, das finden ja alle Eltern. Und mittlerweile kann ich dabei sein, den Eimer halten, den Rücken streicheln, wenn sich die kleinen fast zerbrechlich wirkenden Körper winden, um den letzten Rest Mageninhalt nach aussen zu befördern. Ich putze es auch weg. Nutze aber nicht wie andere Emetophobiepatienten Desinfektionsmittel um das ganze Haus von oben bis unten klinisch rein zu machen. Sowas gibt es in unserem Haushalt nicht, weil ich damit erst gar nicht anfangen wollte. Bisher steckte sich auch selten jemand an. Meist traf es den anderen Bruder oder meinen Mann. Mich nicht. Das weiss ich. Auch mein Hirni. Aber dann schiesst es mir den Gedanken «Warum sollte ich diesmal verschont bleiben?» durch den Kopf. Und noch ist ja nichts passiert. Der Mittlere schläft so tief und fest, dass er nicht einmal das heftige Gewitter, das eben bei uns durchfegt, mitbekommt. Und Morgen früh sitzt er mit gesundem Appetit am Tisch und alle Angst war umsonst. Aber daran fest zu glauben bringe ich irgendwie nicht in meinen Kopf.

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