über meine Angststörung

Ich habe überlegt, ob ich hier über meine Angststörung schreiben soll. Die meisten, die mich privat kennen, wissen davon und ich schrieb hier auch bereits darüber. Heute etwas ausführlicher…

Irgendwann vor drei Jahren war es für mich an der Zeit, darüber zu reden. Auch wenn mir der Schritt damals schwer fiel. Mein damaliger Arbeitgeber war mit einer der ersten, dem ich berichtete. Ich fehlte ab und an, weil mich die Panik nachts nicht schlafen liess. Oder musste eher heim, weil mich die Angst am Arbeitsplatz überfiel und arbeiten nicht möglich war. Und ich konnte und wollte auch nicht immer kranke Kinder vorschieben. Freunde, Kollegen, die Familie wurden auch eingeweiht. Mit jedem Mal, wo ich über meine Angst erzählte, wurde sie kleiner und ich ein Stück stärker. Aber verschwunden ist sie nicht. Ich kann sie meistens gut kontrollieren. Das denke ich bis eine Ausnahmesituation eintritt wie derzeit. Alle drei Kids machen den Kotzkäfer durch.

Und ich weiss Kotze ist eklig, Kotzen auch. Das hat niemand gern und das weiss auch jeder. Aber für uns Emetophobiker ist diese Aussage so schwer zu verstehen. Erst wenn jemand es so direkt es anspricht, es uns ins Gesicht sagt, erkennt man: Ja, das stimmt wohl. Erbrechen ist eklig, niemand erbricht gern. Das Gefühl von Ekel beim Anblick von Erbrochenem, es ist normal. Das sagte mir einmal meine Psychotherapeutin. Ein Satz wie «Wenn es regnet, wird man halt nass.» Voller Logik, aber erst mir gegenüber ausgesprochen relativiert es meine Angst. Es ist völlig normal mit Ablehnung, mit Schauern zu reagieren. Weil jeder so reagieren würde. Nur die Spirale, die danach beginnt, ist es nicht. Man nennt sie Angstkreislauf. Ich nenne es Gedankenkarussell. Manchmal braucht es nur wenig, damit es sich dreht. Manchmal kann ich es stoppen. Manchmal verliere ich mich in seinem Strudel. Falle in Panik. Fühle mich dann wie jemand, der rechts ein Engelchen und links ein Teufelchen auf den Schultern sitzen hat. Der Engel beruhigt mich mit lieben Worten. Nichts wird passieren. Alles gut. Aber gleichzeitig hebt der Teufel spöttisch seinen Dreizack und ruft mir lachen zu: wirst schon sehen, es wird passieren!

Ich habe mir abgewöhnt, meine Kinder zu fragen, ob jemand in der Schule wegen Krankheit fehlte. Das gibt dem Gedankenkarussell nur unnötig Schwung. Ich kann und werde es nie kontrollieren können, ob oder wann sie sich anstecken. Wenn es passiert, passiert es eben. Zu wissen, dass sie sich dort oder da angesteckt haben könnten, ändert nichts an der Sache. Wenn sie dann aber einmal kränkeln, dann verfalle ich leider immer noch in Alarmbereitschaft und wache argwöhnisch über meine Kinder. Sie essen wenig oder nichts? Das kann nur eines bedeuten. So meint es mein Angstkopf. Jegliches Dagegensteuern in Form von «Warte es erst einmal ab» oder «Das kann tausend andere Gründe geben» ist zwecklos. Ich soll lernen, es einfach nur wahrzunehmen. Er hat wenig gegessen. Punkt. Kein Nachgedanke. Kein Nachsatz. Kein Gedankenkarussell. Punkt. Nur wie stellt man das an? Gedanken kommen nun mal unwillkürlich und schiessen quer durch den Kopf. Wie als würde das Teufelchen kleine Blitze abfeuern. Was mir bisher half, war umkehrt zu denken. Also positive Situationen, die es schon öfters gab, wo ich dachte, wir hätten die Magendarmkäfer schon im Haus, wo dann aber doch wieder nur die Angst über der Vernunft stand. Ich nehme mir diese Zustand als Vorbild: Schau da passierte auch nicht, also wird diesesmal auch wieder nichts von deinen Befürchtungen eintreten. Und ich verfluche die Verknüpfung an jene Situationen, wo es dennoch passierte. Nur weil ich einmal nachts erwachte und mich übergeben musste, heisst es nicht, dass sich das jedes Mal abspielen wird, wenn ich mitten in der Nacht die Augen aufschlage. Stunden sass ich da schon da. Tigerte wie ein ferngesteuertes Wesen durch die Wohnung. Suchte Halt in bestimmten Handlungen. Zwangshandlungen nennt es die Psychologie. Das Licht im Bad musste angeschaltet sein, der WC-Deckel geöffnet. Obwohl ich eigentlich nicht ins Klo brechen kann. Dann zur Sicherheit noch den Stöpsel vom Waschbecken rausgenommen, damit es im Fall schneller abläuft. In der Küche hatte derweil der Wasserkocher zu tun. Heisses Wasser für die Wärmflasche und einen Tee. Meist suchte ich nervös nach Kaugummi und meinem Duftwässerchen, dass mir eine Bekannte gegen nervöse Zustände gegeben hatte. Aura Soma. Hilft es nicht, schadet es auch nicht. Aber es gab mir Halt. Weil mir kalt und zugleich aber auch heiss war, öffnete ich das Fenster. Frische Luft tut doch auch bei Übelkeit gut, schoss es mir dann oft durch den Kopf. Also einen gaaaanz tiefen Atemzug nehmen. Dreimal ein- und wieder ausatmen. Fühlte sich meist gleich ein wenig besser an. Dann doch aber noch schnell in dicke Wollsocken gesprungen und eine Kuscheldecke umgehangen. So sass ich dann am Küchentisch. Vor mir der Laptop oder ein Notizbuch um mein Angstagebuch zu füllen. Die Aufzeichnungen waren fast immer identisch. Ein toller Tag bis zu einem kleinen Gedankenkarussellanstubser und schon folgte der Körper den von der Angst iniziierten Unwohlwehwehchen. Bauchgrummeln, Aufstossen, Zittern, Durchfall. Die volle Palette an angsttypischen Merkmalen. Obwohl ich sie kannte, und mich zu beruhigen versuchte, ein Stück Zweifel blieb jedesmal. Diesmal könnte es vermutlich ja doch anders sein. Ich schrieb, die Seiten füllten sich. Die Zeit verging, die Nacht hangelte zum Morgen über. Letztendlich kam ich meist an dem Punkt, wo mir die Übelkeit vor totaler Erschöpfung egal war. Im wahrsten Sinne scheissegal. Dann kotz ich halt ins Bett, schoss es mir durch den Kopf bevor ich die Augen schloss und mich der Müdigkeit ergeben gab.

Seit einigen Wochen überlege ich eine Selbsthilfegruppe auf die Beine zu stellen. Die Gespräche mit der Psychologin tun zwar gut, drehen sich aber meist eher über andere Sachen. Der Austausch in diversen Foren hilft manchmal, zieht mich teilweise aber runter, wenn ich lese, wie stark andere von der Angst betroffen sind. Freunde hören zwar zu, aber ich glaube, so richtig verstehen kann es nur jemand, der ebenso mit einer Angststörung leben muss. Das Blog hier ist geduldig und drum eine gute Möglichkeit für mich, meine Gedanken niederzuschreiben.

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